Quartier Autopalast
Aus Parkraum wird Lebensraum
Quartier Autopalast
type: adaptive reuse
client: private
location: Salzburg
time: 2024
renderings: Mathias Bank, smartvoll
Man kann es durchaus Pioniergeist nennen, den Herr Gruber an den Tag legte, als der Kutschenunternehmer 1924 beschloss, eine oberirdische Autogarage mit 400 Stellplätzen, in bester Salzburger Innenstadtlage zu bauen. Denn zu diesem Zeitpunkt gab es in Salzburg nur um die 25 zugelassenen Automobile. Er sollte Recht behalten – das Auto hatte seine große Blütezeit erst vor sich. Entsprechend der Lage und der Großzügigkeit passend gewählt auch der Name der Garage – der Salzburger Autopalast.
Am Rand der erhaltenswürdigen Altstadtzone und mit Blick auf den Kapuzinerberg wird also seither in einem industriellen Gebäude auf mehreren oberirdischen Etagen geparkt. Zusätzlich zum prominenten Garagengebäude an der Straße wurden auch die restlichen Pferdeställe im Innenhof im Laufe der Zeit zu weiteren Stellplätzen. Insgesamt bietet das Areal aktuell etwa 220 Stellplätze.
Heute, knapp 100 Jahre nach der Mobilitätsrevolution des 20. Jahrhunderts stehen wir vor neuen Herausforderungen. Während die sharing economy auch den Individualverkehr erreicht hat, bildet sich in der Gesellschaft gleichzeitig ein Bewusstsein für den schädlichen Einfluss fossiler Brennstoffe auf unser Klima. Besonders junge Menschen im urbanen Raum besitzen daher oft kein eigenes Auto mehr. Im Hinblick auf die gerade erst beginnenden gesellschaftlichen Umbrüche und inspiriert von der Weitsicht des Grundsteinlegers, gilt es das Areal Autopalast neu zu denken und ebenso weitsichtig für die Zukunft zu adaptieren.
Die Vision – das Parkhaus, das den Autos einen Panoramablick bietet, wie ihn sich viele für ihre Wohnungen nur wünschen können, wird der Autopalast von einem Ort für Autos in einen Ort für Menschen transformiert. Wo bisher Autos lediglich verwahrt wurden, entsteht ein lebendiges Mikro-Quartier mit Wohnraum für bis zu 130 Menschen und zusätzlich etwa 150 Arbeitsplätzen.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde immer wieder auf den enormen Platzverbrauch parkender Autos hingewiesen. Am Quartier Autopalast zeigt sich nun, was es praktisch bedeutet, wenn aus Parkplätzen Lebensraum wird.
Vielfalt statt Einfalt
Das Areal liegt nicht nur zentral, es markiert auch die Grenze des erhaltenswerten Teils der Salzburger Altstadt. Quer durch den städtebaulichen Block verläuft die Grenzlinie. Innerhalb der Grenzen ergibt sich die Notwendigkeit von gesteigerter gestalterischer Rücksichtnahme, während die Bebauung außerhalb über die Jahrzehnte zwischen den Nutzungen zerfranste. Rund um den Autopalast wechseln sich kleine Betriebe, Werkstätten, Wohnhäuser und Freiflächen ab und formen ein heterogenes und kaum strukturiertes Umfeld.
Auf diese städtebauliche Vielfalt wird gleich mehrfach reagiert. Zuerst müssen aber die Autos der neuen Nutzung Platz machen. Die bestehenden Stellplätze werden durch eine Tiefgarage ersetzt. Der straßenseitige Bestand bleibt erhalten und wird durch einen Dachausbau verdichtet. Die angrenzende Gebäudelücke wird geschlossen, um dem Blockrand seine Klarheit zurückzugeben. Im Innenhof werden die bestehenden Baracken zugunsten innerstädtischer Nachverdichtung abgetragen. An ihrer Stelle entstehen zwei Neubauten, die sich städtebaulich wie formal vom Bestand unterscheiden.
Anstelle eines in sich gekehrten Blocks werden die Baukörper so zueinander positioniert, sodass zwischen ihnen lebendige Gassen entstehen können. Im krassen Gegensetz zur aktuellen Nutzung wird das Quartier zusätzlich autofrei, bleibt aber gleichzeitig öffentlich durchwegbar. Die Neubauten bekommen eine vermittelnde Rolle und verweben das Quartier mit seiner Umgebung. Die bis dato ablesbare städtebauliche Kante wird dadurch verwischt. Pixelartig angelegt und durch Fugenbaukörper getrennt, terrassieren sie sich in Richtung der benachbarten Freifläche. Um die Verzahnung der Innenhöfe vollständig zu machen, erweitert sich die bestehende, angrenzende Grünfläche auf die Dächer der neuen Baukörper. Der Park wird so in das Areal Autopalast erweitert. Im Gegensatz zum ursprünglich komplett asphaltierten Hof, erzeugen die begrünten Dächer einen echten Mehrwert, von dem nicht nur die Bewohner:innen, sondern auch die Umgebung profitiert.
Großzügige Mischung
Neben den Gebäuden an sich gilt auch für die Nutzung – Vielfalt ist wünschenswert. Während das Quartier bei reiner Wohnnutzung vor allem am Abend und in der Früh genutzt würde, sorgt die Mischung aus Gewerbe und Wohnen für konstante Belebung über den Tag hinweg. Damit Belebung auch zu Begegnung führt, darf sich der Freiraum nicht wie ein offenes Feld anfühlen. Hier kommen die Gassen ins Spiel. Die Betriebe, von der Agentur bis zum Yogastudio, entfalten ihre Energie auf die Gassen, nutzen sie teils sogar als Außenraum. Auch die Bewohner:innen partizipieren durch Balkone und Terrassen an den gassenartigen Freiräumen. Die daraus resultierende Lebendigkeit manifestiert in Kombination mit dem Spannungsfeld zwischen Bestandsgebäude und Neubauten, die Urbanität des Areals. All das macht am Ende den Unterschied zwischen einem anonymen Neubaugebiet und dem Quartier Autopalast aus.
Pioniergeist reloaded
Wir befinden uns in einer Phase gesellschaftlichen Umdenkens – denn die Veränderung des Klimas zeigt uns deutlich, dass ein Festhalten am Status Quo uns nicht weiterbringt. Wir als Architekt:innen tragen dabei besondere Verantwortung für den sparsamen Umgang mit Ressourcen und eine vorausschauende Planung. Ressourcenschonung beginnt beim Erhalt bestehender Gebäude, denn wie immer gilt, das nachhaltigste Gebäude ist eines, das schon gebaut ist. Durch die Weiternutzung kann das über die Jahrzehnte im Beton gespeicherte CO² bleiben wo es ist. Würde man den Bestand abreißen und an seiner Stelle neu bauen, würde man nicht nur das bereits gebundene CO² freisetzen, man müsste für Abbruch, Abtransport und Neubau auch weiteres CO² in die Atmosphäre emittieren.
Im Fall des Autopalasts ist vor allem der Umstand, dass den Autos Räume mit Höhen über, dreieinhalb Meter zur Verfügung standen, ein riesiger Vorteil. Gerade die großen Raumhöhen machen den Bestand flexibel nutzbar und erleichtert die Umnutzung massiv. Was im Bestand gut funktioniert, wird auch für den Neubau übernommen. Die flexible Nachnutzung kommender Generationen wird schon in der Planung einkalkuliert. Die Gebäude bekommen großzügigere Raumhöhen als im klassischen Wohnbau üblich und sind so von Beginn an für zukünftige Umnutzungen offen.
Neben Ressourcenschonung durch Nachnutzung des Bestands sowie der anpassungsoffenen Planung des Neubaus, zählt zur Nachhaltigkeitsstrategie auch die Gestaltung eines zukunftsfähigen Außenraums.
Besonders herausfordernd wird die Außenraumgestaltung durch die Gleichzeitigkeit der Anforderungen. Während innerstädtisch nachverdichtet werden soll, sieht das Salzburger Baurecht aktuell noch mehr als einen Autostellplatz pro Wohnung vor. Ohne Tiefgarage und der damit einhergehenden Versiegelung des Areals ist eine Nachverdichtung also nicht umsetzbar. Gleichzeitig wissen wir, dass uns die Zukunft heißere Sommer und extremere Niederschläge bringen wird. Die überbordende Bodenversiegelung verschlimmert diese Phänomene noch zusätzlich. Einerseits heizen sich versiegelte Flächen stärker auf und sorgen als urbane Hitzeinseln dafür, dass Städte mehr Wärme speichern und schlechter abkühlen. Gleichzeitig kann der versiegelte Boden Niederschlagswasser nicht halten. Das Wasser verschwindet im Abfluss, statt langsam zu verdunsten und die Umgebung dadurch zu kühlen.
Im Quartier Autopalast sind die Dachbegrünungen deshalb mehr als ein ästhetisches Mittel. Anstelle der nun bebauten Grundebene übernehmen die ein Meter hohen Pflanztröge die Retention von Niederschlagswässern. Das Areal wird somit vertikal entsiegelt. Die dadurch entstehende Verdunstungsfläche und Beschattung werden zusammen mit der intensiven Begrünung das Mikroklima des Quartiers positiv beeinflussen. Der Außenraum kann so auch in einer heißeren Zukunft qualitativ nutzbar bleiben und die Biodiversität der Stadt stärken.
Nachhaltiges Planen bedeutet für uns mehr als Zertifizierung. Es fordert zukunftsorientiertes, vernetztes Denken, einen undogmatischen und pragmatischen Zugang und eine Prise Pioniergeist.