ZELLERNDORF

Mit 50 Jahren fängt das Leben an!
Das Gemeindeamt Zellerndorf steht vor seinem zweiten Frühling

Gemeindezentrum Zellerndorf

project: Gemeindezentrum Zellerndorf
type: public
client: Gemeinde Zellerndorf
location: Zellerndorf, Lower Austria
time: 2025

Der Winzerort im malerischen Retzerland nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, um das Gebäude einer gründlichen Auffrischungskur zu unterziehen.

Der markante Ziegelmassivbau im Stil der Spätmoderne wurde einst in den 1970er Jahren im Rahmen der Gemeindeverwaltungsreform errichtet und hat seitdem als Ortszentrum der Marktgemeinde gute Dienste geleistet. Doch im Laufe der Jahre sind einige Herausforderungen aufgetreten, denen das Gebäude nun nicht mehr gewachsen ist. Ein hoher Sockel isoliert den Vorplatz vom Erdgeschoss, die Mitarbeiter sind im gesamten Gebäude verstreut, und die veraltete Haustechnik macht den Betrieb ineffizient.

Doch anstatt das Gebäude nun nach Ablauf des theoretischen Nutzungszyklus abzureißen und neu zu errichten, wie es oft üblich ist, hat die Gemeinde von Anfang an beschlossen, das bestehende Gebäude zu erhalten und behutsam zu modernisieren. Diese Entscheidung basiert nicht nur auf der soliden Bausubstanz und der optimalen Lage in Ortskernmitte, sondern auch auf dem Bewusstsein unsere gemeinsame Verantwortung gegenüber der Zukunft ernst zu nehmen. Damit geht die Gemeinde Zellerndorf mit gutem Beispiel voran und zeigt damit Vorzüge von Bestandserhaltung und Ortskernaktivierung auf das öffentliche Leben im ländlichen Raum auf.

Ursprünglich als Parkplatz geplant, wurde der Bereich vor dem Gebäude im Laufe der Jahre zu einem grünen Vorplatz umgestaltet. Doch aufgrund der Nähe zur stark befahrenen Bundesstraße kann er seine freiraumgeprägte Funktion derzeit nicht erfüllen. Durch das Anheben des Platzes auf Erdgeschoßniveau bildet er nun einen geschützten Begegnungsort mit Verweilqualitäten und ermöglicht gleichzeitig einen barrierefreien Zugang für alle.

Ein neuer Anbau öffnet sich als Eingangsgebäude zum Ort hin und spannt gemeinsam mit dem Bestand einen einladenden Innenhof auf. In Zukunft sind alle Mitarbeiter gemeinsam im Erdgeschoß untergebracht, das fördert die Zusammenarbeit, das Gemeinschaftsgefühl und die Servicequalität gegenüber den Bürgern. Sämtliche Behördenwege bis hin zum Bürgermeister und der Postpartnerstelle können damit bequem auf einer Ebene erledigt werden.

Das obere Stockwerk wird der öffentlichen Nutzung zugeführt und über einen neu errichteten Lift erschlossen. Der Sitzungssaal und ein zweiter Workspace stehen der Bevölkerung damit für Veranstaltungen, Vorträge, Yogakurse, Co-Working, Feste oder jegliche andere Nutzung zur Verfügung. Die großen Öffnungen zum Ort hin signalisieren die Benutzbarkeit für die Bürger und zeigen zudem, dass Gemeindepolitik in Zellerndorf nicht hinter verschlossenen Türen, sondern transparent und offen ausgetragen wird.

Doch nicht nur das Bestandsgebäude, auch das Umfeld des Gemeindeamtes wird mit zusätzlichen Funktionen aufgewertet. Der Dorfplatz wird mit Granitsteinen gepflastert und mit ortstypischen Trockenpflanzen begrünt. Neue Laubbäume spenden Schatten und schützen auch die Glasfassade des Gebäudes im Sommer vor Überwärmung. Die Bushaltestelle wird im Baukörper als witterungsgeschützter Wartebereich integriert, ein öffentlicher Trinkbrunnen und E-Bike Ladesäulen ermöglichen einen bequemen Zwischenstopp für Radtouristen. Im Foyer ist künftig eine Selbstbedienungs-Paketstation der Post vorgesehen, die rund um die Uhr zugänglich sein wird. Das Gemeindezentrum nimmt damit seine Funktion als Ortsmittelpunkt wahr und vereint Bürgerservice, Nahversorgung und nachhaltige Mobilität mit einem regen Gemeinschaftsleben.

Bei allen Veränderungen stehen drei zentrale Themen der Nachhaltigkeit im Vordergrund: Die materielle, die energetische und die soziale Nachhaltigkeit.

Mit der Öl- und Energiekrise des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Reduktion des laufenden Energieverbrauchs zu einem der wichtigsten gesellschaftlichen Ziele entwickelt. Die isolierte Gebäudeoptimierung in Form des Energieausweises begleitet uns bis heute. Mittlerweile steht jedoch die gesamtheitliche Betrachtung des Gebäudezyklus in Form einer Lebenszyklusanalyse (LCA) im Vordergrund, denn nur ein Viertel des gesamten Energieaufwandes kommen aus der laufenden Nutzung. Den viel größeren Anteil macht die sogenannte „graue Energie“ aus. Jene Energie, die bei der Rohstoffgewinnung, Produktion und Errichtung des Gebäudes entsteht, beträgt das Dreifache des Nutzenergiebedarfs – wenn man ein Gebäude abbricht, ist es noch mehr.

Die größte Energieeinsparung und damit auch CO2-Einsparung kann durch den Erhalt von Bausubstanz erzielt werden. Laut gängiger Berechnungsannahmen ist ein Gebäude nach meist 50 Jahren am Ende seines fiktiven Nutzungszyklus angekommen und wird, der aktuellen Konsum-Ökonomie entsprechend, abgebrochen. Durch die Verlängerung des Nutzungszeitraumes kann der CO2  Fußabdruck eines Gebäudes mit jedem zusätzlichen Jahr der Nutzung verbessert werden. Überdies wird qualitativ hochwertige Bausubstanz erhalten, die in der Neuanschaffung heute oft zu teuer oder in dieser Form gar nicht mehr erhältlich wären. Im Fall des Gemeindeamtes sind die hochwertigen Terrazzofliesen, Designerleuchten, Massivholztüren und wertigen Möbel Teil dieses qualitativen Erbes.

Dort wo Veränderungen vorgenommen werden müssen, um neue Möglichkeiten und Qualitäten zu schaffen, wird das rückgebaute Material vor Ort wieder eingesetzt oder adaptiert. Aus den Filigrandecken im Obergeschoß, die einem großzügigen Dachraum weichen, werden Fassadenelemente, der Holzdachstuhl wird zu tragenden Stützen kombiniert und aus den Dachschalungsbrettern werden neue Zwischenwände gebaut.

Wo es möglich ist, werden gebrauchte Materialien einem zweiten Nutzungszyklus zugeführt. Rückgebaute Ziegeldächer aus der Region werden künftig die Fassade und das Dach des Gemeindezentrums bilden und damit nicht nur dazu beitragen das Gebäude in seine Umgebung einzugliedern, sondern gleichzeitig die Werthaltigkeit tradierter Baumaterialien öffentlichkeitswirksam aufzeigen.

Dort wo der Einsatz neuer Materialien unumgänglich ist, werden nachwachsende Rohstoffe im kleinstmöglichen Umfang kreislauffähig verbaut. Aufbauten und Materialien werden so verbaut, dass sie weder geklebt oder verschweißt werden müssen – Verbundwerkstoffe werden konsequent vermieden, um technische und natürliche Stoffkreisläufe zu erhalten und Ressourcen auch für zukünftige Generationen nutzbar zu machen. Durch lösbare Verbindungen können Bauteile einfach demontiert und anderweitig wiederverwendet werden, sollten sie nicht mehr gebraucht werden.

Fertige Oberflächen, wie sichtbar belassene Holzwerkstoffplatten oder Korkdämmung, vereinfachen einerseits den Bauprozess und tragen zudem zu einem resilienten Oberflächenkonzept bei, das auch bei andauernder Nutzung nicht an Ästhetik verliert – im Gegenteil, die Atmosphäre spendende Patina trägt elementar zum Selbstverständnis des Gebäudes bei.

Neben der Bausubstanz wird auch die veraltete Gebäudetechnik aktualisiert. Das Gemeindezentrum wird durch ein in sich geschlossenes Energiekonzept zum Nullenergiehaus. Der Strom für die Erdwärmepumpe kommt direkt aus der 25kWp Photovoltaikanlage am Dach und versorgt das Gebäude im Jahresdurchschnitt mit genauso viel Energie, wie es für das Heizen, Kühlen, Licht und elektrische Geräte verbraucht.

Doch nicht das Material und die Technik sind es, die das Gemeindezentrum letztlich ausmachen. Erst die Historie, die Tradition und die Gemeinschaft, machen diese räumliche Hülle zu einem zentralen Ort der Begegnung und lebendigen Aktivierung. Die Weiterführung dieser autochthonen Werte soll durch die Stärkung des Lokalkolorit zur identitätsstiftenden Anknüpfung an die Tradition beitragen. Die Selbstverständlichkeit, mit der die umgebenden Winzerhäuser in der Kulturlandschaft eingebettet sind, rühren aus einer Angemessenheit, die aus den Gegebenheiten und Materialien der Region einen unverwechselbaren Charakter entwickeln. Diese Eigenschaften nehmen wir als Kernideen des Umbaus auf. Lokale Besonderheiten sollen als solche hervorgehoben und verstärkt werden, regionaltypische Atmosphären verdichtet, Nutzungen intensiviert und somit der Ortskern noch mehr zu dem werden, was er für die Bevölkerung auch sein sollte – ein gemeinschaftlicher Mittelpunkt.